Argentinien: Strafe für Leben

Buenos Aires, foto by Gabriela Keseberg D.

Auf der Suche nach der eigenen Identität

Sie wurde als Säugling den Eltern weggenommen und von Regimefreunden adoptiert. Argentiniens Militärdiktatur hat viele Menschen auf dem Gewissen. María Eugenia Sampallo Barragán ist das erste Kind verschwundener Militäropfer, dass gegen seine Adoptiveltern klagt.     

Das Urteil wurde am späten Nachmittag verkündet. Aus den gewünschten 25 Jahren Haft wurden jedoch nur zehn. Die 30-jährige Argentinierin María Eugenia Sampallo Barragán klagte ihre Adoptiveltern Maria Cristina Goméz Pinto und Osvaldo Rivas sowie den ehemaligen Militäroffizier Enrique Berthier wegen Entführung einer Minderjährigen, Urkundenfälschung und Verschleierung der Identität an.

Vor genau dreißig Jahren, während der Militärdiktatur in Argentinien, wurde ein Baby seinen Eltern entrissen. Sie wurden in ihrer eigenen Wohnung in Buenos Aires verhaftet und danach heimlich verschleppt. Untergebracht im so genannten „Club Atletico“ hat man sie misshandelt und gefoltert. Keiner weiß, was mit ihnen geschah. Ihr Kind sahen sie nie wieder.

Heute dreißig Jahre später: Eugenia steht vor Gericht um ihre Adoptiveltern anzuklagen. Ihre leiblichen Eltern hat sie nie kennengelernt. Ihr wurden die verschiedensten Geschichten erzählt: ihre leibliche Mutter sei in Europa oder sie sei durch einen Unfall gestorben oder sie arbeite als Stewardess. Bei der letzten Version fiel der Name Enrique Berthier, durch ihn kam sie der Wahrheit auf die Spur. Er war ein Militäroffizier und Freund der Adoptiveltern und derjenige, der ihnen vorschlug das Baby zu adoptieren.

Nach dem Militärputsch 1976 sind nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen über 30.000 Menschen, die als Regimegegner angesehen wurden, verschwunden und über 500 Säuglinge geraubt worden. Daraufhin gründeten Mütter von Verschwundenen 1977 die Organisation „Madres de Plaza de Mayo“. Ein Jahr später, im Schutz der in Argentinien stattfindenden Fußballweltmeisterschaft, demonstrierten sie erstmals in der Öffentlichkeit. Sie forderten Rechenschaft über das Schicksal ihrer verschleppten Söhne und Töchter.

Nach vier Jahren Rechtsstreit ist nun das Urteil gefallen. Eugenia forderte 25 Jahre Haft. Das Urteil ist jedoch ein anderes: Osvaldo Rivas ihr Stiefvater bekommt acht Jahre Haft und ihre Stiefmutter sogar nur sieben Jahre. Militäroffizier Berthier wird zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt. Nach Ansicht von Eugenia und der Vizepräsidentin der Menschenrechtsorganisation „Großmütter der Plaza de Mayo“ sind sieben, acht Jahre Strafe viel zu wenig.

Dieser Prozess war etwas besonderes, denn es war das erste Mal, dass ein entführtes Kind verschwundener Diktaturopfer geklagt hatte.

Die „Mütter und Großmütter der Plaza de Mayo“ konnten bis bisher 88 geraubten Säuglingen zu ihrer Identität verhelfen. Noch heute demonstrieren sie jeden Donnerstag vor der „Casa Rosada“, dem Regierungsgebäude in Buenos Aires als Symbol des Widerstandes und dem Kampf für Gerechtigkeit.

Eugenia weiß nun wer sie ist und wo sie her kommt. Viele in Argentinien wissen das das aber noch nicht.  Es scheint als sei die Aufarbeitung von Argentiniens Vergangenheit noch lange nicht abgeschlossen.

Gabriela Keseberg Dávalos

veröffentlicht auf: zdf. de Auslandsjournal

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